EIN GEHEIMAGENT WIRD GEBOREN
Es war bei einem unserer vielen gemeinsamen Treffen, als das Thema zur Sprache kam. Gewöhnlich trafen wir uns beim Pilsner Urquell im Ratskeller von Berlin-Reinickendorf, aber dann kurz vor Weihnachten 2017 schloss der gemütliche Keller und wir wichen zur Kohlenquelle im Prenzlberg aus. Georg fragte mich, was ich mit meiner neuen Figur vorhabe und ich versuchte es ihm so gut wie möglich zu erklären. Ich erinnere mich noch an den Dialog von damals, als ob es heute wäre.
GEORG: Wie kam es zur Idee, die Figur Walter Bennert zu erschaffen?
MAD: Ich brauchte einen neuen Helden, als mir allmählich der Eggbert-Stoff ausging. Im Sommer 2016 beobachtete ich in Krumlov, Südböhmen, japanische Touristen, die wie die Irren eine für den Zugang zur Stadt strategische Brücke fotografierten. Ich musste unwillkürlich an Militärspione denken. Und ich dachte mir: Was wäre wenn das jemand vor dem Mauerfall als Hobby betrieben hätte, um etwas ganz anderes damit zu verschleiern. Bennerts erster Fall war geboren. Dieser Gedanke fiel zeitgleich in eine Anregung eines Freundes, mir die Filmserie Deutschland 83 anzuschauen. Mir gefiel die rasante, an den Haaren herbeigezogene Handlung, die mich auf die Idee zu Bennerts ersten Roman MIT 26 STIRBT MAN NICHT brachte, den ich ursprünglich AMOK nennen wollte. Der Name Bennert war ein spontaner Einfall. Einerseits wollte ich ihn wie einen Achim Detjen agieren lassen, andererseits sollte er aber auch ein Mavericks in den Reihen des MfS sein.
GEORG: Warum wurde „Amok“ erst als Band 4 der Reihe veröffentlicht?
MAD: Ich wollte vermeiden, dass ich Bennert über 150 Seiten erst einmal einführen müsste. Deshalb kam mir die Idee, ihn in Kurzgeschichten, und später ab 2018 in Kurzromanen, zu einer bereits aussagekräftigen Biographie zu verhelfen, auf die der interessierte Leser zurückgreifen könnte.
GEORG: Wie real sind Bennerts Abenteuer? Hatte es Leute wie ihn beim MfS gegeben?
MAD: Fast alle „Abenteuer“, in die Bennert hineingezogen wird, haben einen realen historischen Hintergrund. Wer sich mit der Geschichte der Stasi vertraut macht, sollte berücksichtigen, dass das MfS auch ein Geheimdienst war, der anderen Geheimdiensten so manche Schlappe beibrachte. Es gab Mitarbeiter, wie Werner Stiller, denen es gelang überzulaufen. Es gab andere, die beim Versuch gescheitert sind und dafür mit ihrem Leben bezahlten. In erster Linie war die BRD das Operationsgebiet des MfS. Nach dem Fall der Mauer kam es zu zahlreichen Verhaftungen von, wie das MfS sie nannte, Kundschaftern im Westen. Allein der Arbeitsaufwand, solch ein Agentennetz aufzubauen und zu führen, musste enorm gewesen sein. Die Aufgaben des MfS, das Land (DDR) zu schützen, genauer gesagt die Parteispitze der SED, führten schließlich ins Uferlose. Unter diesen Bedingungen war vieles möglich: auch um Bennert genügend Spielraum und Gelegenheiten zu geben, Teil spektakulärer Aktionen zu werden, über die man heute noch munkelt.
GEORG: Die Bennert-Thriller tragen zweifellos historischen Charakter. Sie setzen 1974 ein. Gab es dafür einen weiteren Grund, außer dem oben genannten?
MAD: Ja. Bennert ist Jahrgang 1950. Nach seinem Hochschulabschluss wird er als Leutnant bei der HA IX als Vernehmer eingesetzt. Ihm ist zu diesem Zeitpunkt der zweifelhafte Ruf dieser Hauptabteilung noch nicht bekannt und er stürzt sich mit jugendlichem Elan in die Arbeit. Erst nach und nach findet er heraus, dass die „Wasserprediger“ selbst ihre liebste Zeit vorm Weinfass verbrachten. Seine Illusionen fingen an, sich in Wohlgefallen aufzulösen. An irgendeinem Punkt redete er sich ein, dass seine Tätigkeit als Geheimdienstler eine Berechtigung habe, wie überall in der Welt. Ein verhängnisvoller Fehler, der sein Leben veränderte. Die Bennert-Thriller sollen natürlich auch ein Stück reale DDR-Geschichte reflektieren, die heutzutage immer mehr (schon an den Schulen) verdrängt wird. Von der DDR ist nur noch der Unrechtsstaat übriggeblieben, der über vierzig Jahre lang nichts anderes getan habe, als die Masse seiner Bürger zu bevormunden, zu gängeln und zu drangsalieren. Gegen diesen Hintergrund versuche ich zu erklären, wie Bennert seinen Job nur machen konnte.
GEORG: Welchen Stellenplatz nimmt die Bennert-Reihe in deinem Gesamtschaffen ein?
MAD: Ursprünglich wollte ich lediglich Geschichten schreiben, die viele skurrile Abenteuer aus meinem Leben wiedergeben. Ausgangspunkt bildete der unerwartete Tod eines guten Freundes, der die Welt verlassen hatte, ohne etwas über sich selbst vor allem für seine Kinder hinterlassen zu haben. Ich stellte mir die Frage, was ich über meinen Vater und Großvater wusste. Wenig und nichts. Deshalb diese vielfältigen autobiographischen Geschichten neben Bennert.
GEORG: Wie geht es nach den vorliegenden zehn Bänden mit Bennert weiter?
MAD: Es wird sicher weiter gehen. Es gibt weitere Ideen. Was den Handlungszeitraum anbelangt, wird Bennert erst im Sommer 1990 wiederkommen. In der Zwischenzeit wird es wahrscheinlich einen oder zwei Spin-offs geben, angefangen mit Bennerts engsten Freund Max Baumgart.
GEORG: Interessant. Aber jetzt hole uns erst mal eine neue Runde Pilsner Urquell.
MAD: Schon unterwegs.
01.06.2023
GEORG (zwei PU auf den Tisch stellend): Lange nichts von Bennert gehört. Was gibt es Neues?
MAD: Sorry, da habe ich wohl Bennert doch zulange in den Winterschlaf geschickt. War nicht unbedingt Absicht. Es kamen ein paar Bücher dazwischen, die ich aus aktuellen Anlässen geschrieben habe. Das betrifft GREGOR SAMSA HATTE ES LEICHTER, IM KRAFTFELD DES BÖSEN, DIE ALEXANDER-BECK-TRILOGIE und DIE ANDERSARTIGEN. Ein Zeitraum vom September 2021 bis Mai 2023.
GEORG: Was war der Grund?
MAD: Ereignisse im Land und in meinem Umfeld, die mich nicht schlafen ließen. Ich sah mich förmlich gezwungen, dazu Stellung zu nehmen. Wie du dir denken kannst, sind diese Bücher kein leichter Tobak.
GEORG: Und jetzt?
MAD: Bin ich wieder bei Bennert. Allerdings habe ich entschieden, einen Spin-off, indem Bennerts Freund Max Baumgart die Hauptrolle übernimmt, vorzuziehen. Der Titel ist KAFKA. Das Buch, wie sollte es anders sein, ist natürlich wieder ein vielschichtiger Spionage/Actionroman, in dem es ähnlich verworren zugeht wie in MIT 26 STIRBT MAN NICHT. Praktisch ist KAFKA die Fortsetzung davon, die die Ereignisse von damals ein Jahr später wieder aufnimmt.
GEORG: Also einen Auftritt von Bennert gibt es definitiv nicht.
MAD: Bennert erscheint wieder auf der Bühne mit DAS COMEBACK, dessen Erscheinung für Ende 2024 geplant ist. Aber darüber möchte ich noch nichts verraten. Nur so viel, dass die Handlung im Sommer 1990 wieder einsetzt. Bennert kommt zurück nach Berlin. Was ihm alles passiert, in was er hineingezogen wir, kann man dann Ende des Jahres selbst nachlesen.
GEORG: Gibt es eigentlich besondere Empfehlungen deinerseits?
MAD: Ich denke, alle meine Bücher haben ihr gewisses Etwas. Ich mag sie alle ohne Unterschied. Die Fans, die mich persönlich kennen, haben auch keins ausgelassen.
GEORG: Bennert #11 wird also den Anfang einer neuen Staffel bilden?
MAD: Nicht unbedingt. Es gibt Konzepte für Band 12 und 13. Danach wird die Kraft entscheiden, ob es weiter geht. Mangel an Ideen gibt es jedenfalls nicht.
GEORG: Wird es neben Bennert weitere Bücher geben?
MAD: Es gibt mindestens drei konkrete Ideen. Wie gesagt, die Kraft wird entscheiden.
GEORG: Noch eine Frage zu DIE ANDERSARTIGEN. Worum geht’s?
MAD: Im Mittelpunkt stehen Jugendliche der heutigen Zeit, die verzweifelt nach einem Leben für sich suchen. Die sich bietenden Zukunftsaussichten sind alles andere als rosig. Aus einer schier aussichtslosen Lage heraus wollen die Hauptakteure ein Ausweg finden. Es ging mir dabei darum, die Liebe zum Leben zu erfahren und die Kraft einer aufrichtigen Partnerschaft als Katalysator in den Mittelpunkt zu schieben. Das Buch ist nicht einfach, sehr kontrovers, und wird so manchen Leser mehr als nur nachdenklich stimmen. Die Welt ist bunt geworden. In dieser Buntheit ist nichts verwunderlich. Und die Dinge, die uns umgeben, denen wir zum Teil ausgeliefert werden, zu unterdrücken, so zu tun, als gäbe sie es nicht, wäre ein ehrloser Kompromiss.
GEORG: Du schreibst jede Menge Bücher. Hat das Leben überhaupt noch eine Zukunft?
MAD: Gegenwärtig und in naher Zukunft nur unter erschwerten Bedingungen, möchte ich meinen. Den Menschen wird das Leben künstlich erschwert, manchen gar unerträglich gemacht. Da steht der reine Kampf ums tägliche Überleben vorn. Bücher spielen da eine untergeordnete Rolle, häufig schon gar keine mehr.
GEORG: Für wen schreibst du dann? Und glaubst du, dass deine Art zu schreiben Leser interessiert?
MAD: Offenbar ist es momentan reiner Selbstzweck. Ich schaffe mir eine Welt voller Abenteuer, die am Ende bei weitem nicht so entsetzlich ist wie das, was wir im Main Stream täglich vorgesetzt bekommen. Und ich hoffe natürlich, dass die traditionelle Kultur gegen Woke und Cancel Culture standhält und eines Tages, der hoffentlich nicht in allzu weiter Ferne liegt, wieder zu strahlendem Leben erwacht. Und der Realismus, den ich beim Schreiben bevorzuge, ist für den Lesern auf jeden Fall ungewohnt. Dafür steht heutzutage zu viel im Weg. Aber vielleicht ändert sich das wieder.
GEORG: Amen!
s.